Ich stoße so oft auf Sprüche übers Muttersein, über die ich nur staunen kann. Die vielen Irrtümer und Mythen über die Mutterschaft bringen mich immer wieder auf die Palme!
Wie gut, dass sich Gesellschaft und Wissenschaft mit dem Thema Mutterschaft befassen. Vorstellungen übers Mamasein, die in der Öffentlichkeit kursieren, können und müssen so oft hinterfragt werden. Damit meine ich vor allem überholte Vorstellungen, die in der Vergangenheit sinnvoll erschienen, aber einfach nicht mehr in unsere heutige Zeit passen.
Neue Erkenntnisse eröffnen uns den Weg zum besseren Verständnis und Umgang mit den großen Veränderungen, die mit der Geburt eines Kindes eintreffen. Mamas und Papas fühlen sich so besser verstanden.
In diesem Beitrag möchte ich dir 7 Zitate über die Mutterschaft vorstellen, die für mich nicht stimmen. Den Realitätstest haben sie nämlich nicht bestanden.
Diese Zitate über Mutterliebe hätte ich lieber früher ins Visier genommen
Als die Aufregungen der ersten Tage nach der Geburt und die vielen Gratulationen zum Baby verflogen waren, holte uns der Alltag mit Baby ein.
Schlafmangel ließ mich die Tage und Nächte viel zu lang erscheinen. Mich erschreckte das Gefühl, ständig an dieses hilflose kleine Geschöpf gebunden zu sein.
Ich war erschöpft und merkte gar nicht, wie sehr ich mir Mühe gab. Bis sich stolze, mütterliche Gedanken ausbreiten konnten, musste ich mit mir selbst kämpfen.
Heute spricht man zwar darüber, dass die Zeit nach der Geburt eine große Herausforderung ist. Die Gefühle aber – besonders Muttergefühle – werden immer noch gerne idealisiert, auch wenn der Alltag ganz anders aussieht.
Und hier sind Zitate, die meiner persönlichen Erfahrung und Meinung nach, die Mutterliebe verzerren und ins rosarote Licht rücken:
1. „Ein Mutterherz geht so in der Liebe auf, dass es die Sorgen und Lasten der Zukunft nicht schrecken. Eine Mutter spürt in ihrer Seele übernatürliche Kräfte, die alle Hindernisse überwinden.“
– Premchand
Dieser Spruch über Mutterliebe stammt von einem indischen Schriftsteller, der an der Schwelle vom 19. auf das 20. Jahrhundert gelebt hat. Zwar sind seine Worte lange her, aber auch heute noch, sind solche Gedanken in den Medien zu finden.
Welch ein Irrglaube, dass Mütter so etwas wie übernatürliche Kräfte haben! Vor allem nach der Geburt haben mich solche Zitate über Mutterschaft oftmals eingeschüchtert. Ich habe nämlich so oft gelesen, dass Frauen mit der Geburt des Kindes über sich hinauswachsen und neues Selbstvertrauen entwickeln. Das ist aber ein Prozess, der länger dauert.
Ich habe das erst später erfahren, als ich mich mit der Forschung über das Thema beschäftigte. Lange Zeit dachte ich leider, dass etwas mit mir nicht stimmt. Ich war keine glänzende Instagram-Mama und fühlte mich alles andere als stark.
„Meine Sorgen und Ängste haben alle anderen Empfindungen überschwemmt. Ich fühlte mich mickrig, während ich meine Wunden und mein Baby umsorgte. Einsamkeit plagte mich trotz der Nähe meines Partners. Der Schlafmangel und die Erschöpfung waren überwältigend. Von Superkräften keine Spur!“
– Lena Lorenz
Zum Glück war ich zumindest von Krankheiten verschont geblieben. Laut einer Heidelberger Studie haben rund 15 Prozent der Mütter in Deutschland nach Geburt nicht so viel Glück wie ich: So viele leiden nämlich am postpartalen Angst-Syndrom oder an postpartaler Depression.
Die Vorstellung, dass Mutterliebe alles überwindet, ist falsch. Sie kann sogar schädlich sein, wenn sie für mehr Hemmungen und Schuldgefühle sorgt.
2. „Eine Mutter ist der einzige Mensch auf der Welt, der dich schon liebt, bevor er dich kennt.“
– Johann Heinrich Pestalozzi
Gedanklich beschäftigte ich mich zwar mit den Babys im Bauch, aber von Liebe konnte noch keine Rede sein. Zumindest ich nahm es so wahr. Was mich dazu antrieb, zum Wohle des Kindes auf meine Gesundheit zu achten, war Verantwortungsbewusstsein und keine Liebe.
Liebe ist meiner Meinung nach nicht nur ein Gefühl und erst recht kein Instinkt. Liebe ist auch kein Hormoncocktail im Körper, obwohl das Kuschelhormon Oxytocin uns an eng an das Baby bindet. Ich denke, ich kann nur jemanden lieben, den ich kenne.
Auch nach der Geburt war es übrigens ein befremdliches Gefühl, mein Baby im Arm zu halten. Ich litt an den Geburtswunden, war höllisch erschöpft und sehr ängstlich. Es beunruhigte mich zudem, dass ich diese große Mutterliebe, über die es so viele Zitate und Sprüche gibt, nicht empfand.
„Ich habe mich für den Mangel an überwältigender Mutterliebe geschämt, weil ich von einem Mythos fehlgeleitet war. Meine Scham ließ mich nicht darüber reden, weder mit einer guten Freundin noch mit meiner Hebamme. Wie schade, dass ich mich wochenlang mit schweren Gedanken unnötig geplagt habe!“
– Lena Lorenz
(Werdenden) Mamas kann ich nur sagen: Es kann Zeit brauchen, bis man mit dem Baby klickt! Eine innige Bindung entsteht eher schleichend. Schließlich wird man davon überrascht, wie die Liebe mit der Zeit wächst. Es ist ähnlich, wie wenn man einen neuen Menschen kennenlernt.
Scham ist also fehl am Platz!
Bei mir hat es lange gedauert, bis ich positive Gedanken über die Liebe zwischen Müttern und Töchtern oder Söhnen genießen konnte.
3.„Bei der Geburt werden nicht nur Babys geboren, sondern auch Mütter – starke, zuverlässige, fähige Mütter, die an sich selbst und ihre innere Stärke glauben.“
– Barbara Katz Rothman
Leider musste ich in einen sauren Apfel beißen: Ich habe Monate gebraucht, um zu begreifen, dass ich nun Mutter bin. Kein Wunder! Als ich Jahre später nach Erklärungen dafür suchte, kam mir ein Begriff unter, der ziemlich neu im Deutschen ist: die Muttertät.
Die Identität als Mutter muss sich erst einstellen. In den ersten zwei Jahren durchlaufen Mütter einen Prozess, der nicht geradlinig ist und auf verschiedenen Ebenen stattfindet.
Er wird im Buch von Svenja Krämer und Hanna Meyer mit dem Titel „Muttertät – Wenn sich plötzlich alles anders anfühlt“ erklärt. Neben der Darstellung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse lassen die Autorinnen auch Mütter zu Wort kommen.
Die schwierige Wandlung von der Frau zur Mutter wird sachlich und ehrlich beschrieben. So entsteht ein realistisches Bild über die Veränderungen, die mit der Mutterschaft einhergehen. Sie sind vergleichbar mit den Umbrüchen der Pubertät. Wut und Freude, Glück und Gereiztheit wechseln sich ab.
„Dass eine Frau nicht auf einen Schlag zur Mutter wird, sondern dass es sich stattdessen um einen Prozess handelt, macht der Begriff Matrescence deutlich. In Anlehnung an das Wort Adolescence bezeichnet er den Prozess des Mamawerdens mit all seinen tiefgreifenden Veränderungen…“
– Jana Friedrich, Hebamme
Von innerer Stärke habe ich anfangs nicht viel mitbekommen. Auch dieses Zitat von Barbara Katz Rothman, einer US-amerikanischen Professorin für Soziologie und Frauenstudien, hat sich für mich als Mythos erwiesen.
Bei mir hat es etwa ein Jahr gedauert, bis ich mich endlich als Mutter wahrgenommen hatte. Als mein Kind sein erstes Mal Mama sagte, traf es mich wie ein Blitz.
Auch das Selbstvertrauen ließ auf sich warten. Zuerst musste ich mit widerstreitenden Gefühlen kämpfen: Ich sehnte mich nach meiner Freiheit zurück. Die Verantwortung nahm ich als schwere Last wahr. Meine Unsicherheiten im Umgang mit dem Baby lähmten mich oft.
Von innerer Stärke habe ich anfangs nicht viel mitbekommen. So entpuppt sich auch dieses Zitat von Barbara Katz Rothman, einer US-amerikanischen Professorin für Soziologie und Frauenstudien, als Mythos.
4. „Das Schönste am Muttersein ist, dass es einen jeden Tag zu einem besseren Menschen macht.“
– Drew Barrymore
Ich kann mir vorstellen, woher dieses Zitat der berühmten US-amerikanischen Schauspielerin kommt. Schließlich verbindet man mit Mutterschaft (immer noch) Selbstlosigkeit und Aufopferung. Das sind Tugenden, die jede Mutter haben sollte, so der gesellschaftliche Konsens. Doch so einfach ist das nicht.
Mehrere Monate nach der Geburt meines zweiten Kindes fragte ich mich, ob ich ein guter Mensch bin. Viel zu oft riss mir der Geduldsfaden mit meinen Kindern. Ich hatte den Eindruck, dass meine Mühen keine Früchte tragen. Das brachte mich oft auf die Palme. An manchen Tagen war ich so erschöpft und gereizt, dass ich mich selbst nicht wiedererkannte.
Ein Brief, den mir eine Leserin geschrieben hat, ist mir besonders im Gedächtnis geblieben:
„Jeden Tag nehme ich mir aufs Neue vor, mehr Geduld mit mir und meinem Baby zu haben. Wenn abends aber die Schreiattacken losgehen, würde ich mich am liebsten aus dem Staub machen. Dabei machen mir auch noch meine Schuldgefühle zu schaffen.“
– Maike (36)
Der Ausschnitt soll uns deutlich machen: Wenn Promis die Erwartungen der Gesellschaft an Mütter prägen, können sie uns das Leben noch schwerer machen. Es ist ein Mythos, dass Mutterschaft uns zu besseren Menschen macht. Da werden doch Äpfel mit Birnen verglichen, findest du nicht auch?
5. „Wenn du eine Mutter bist, bist du mit deinen Gedanken nie wirklich allein. Du bist mit deinem Kind verbunden und mit all denen, die dein Leben berühren.“
– Sophia Loren
Nicht nur bei mir war das pure Gegenteil der Fall: Viele Mütter lernen nach der Geburt Einsamkeit neu kennen. Es ist ein Widerspruch, einem anderen Menschen (dem Baby) so nah zu sein und sich dabei einsam zu fühlen.
Im Jahr 2021 ist mit dem Parenting Index die erste internationale Studie über Erfahrungen von Eltern entstanden. Sie zeigt, dass sich sogar ein Drittel aller frischgebackenen Eltern einsam fühlt, auch wenn sie gut vernetzt sind. An der Studie haben mehr als 8.000 Mütter und Väter aus 16 Ländern teilgenommen.
Die Hamburger Autorin Rike Drust bringt es in ihrem Bestseller „Muttergefühle“ aus 2011 mit folgenden Worten an den Punkt:
„Über meine Verstörung, mich so alleine zu fühlen, obwohl ich die ganze Zeit so eng wie nie zuvor mit einem Menschen zusammen war. Ich konnte diese Emotionen nicht einordnen. Ich dachte, ich muss immer glücklich sein. Ich wusste nicht, darf ich jammern, dass ich müde bin? Darf ich sagen, dass mir das Geschrei an die Substanz geht?“
– Rike Durst
Welch ein Unterschied zu der Aussage der italienisch-französischen Schauspielerin Sophia Loren! Ihre Worte entpuppen sich also als Mythos. Mit Baby war ich nie allein, aber es ist normal, dass ich mich so gefühlt habe.
Und das sollte jede Mama laut sagen dürfen!
6. „Mutter sein heißt, in Sorgen glücklich sein.“
– Jean-Jacques Rousseau
Es hat einige Wochen gedauert, bis ich begriff, dass die Sorgen, die ich mir um mein Kind mache, mich mein ganzes Leben lang begleiten werden. Natürlich kann man als Mutter trotz Sorgen um die Zukunft des Kindes glücklich sein.
Anders sieht es aus, wenn man als Mutter (oder Vater) mit finanziellen Schwierigkeiten, Beziehungsproblemen und anderen Nöten zu kämpfen hat. Vor allem alleinerziehende Mütter verdienen gut durchdachte Gedanken zur Unterstützung. Ein Mamaspruch, der wie eine abgedroschene Floskel klingt, ist fehl am Platz.
Der Genfer Schriftsteller, Philosoph und Pädagoge Jean-Jacques Rousseau war Wegbereiter der Französischen Revolution. Seine Aussage ist also mehr als 200 Jahre alt. Es ist an der Zeit, sie zu hinterfragen und offen darüber zu reden.
Aus meinem Tagebuch, das ich nach der ersten Geburt geschrieben habe, möchte ich folgenden Ausschnitt mit euch teilen:
„Ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen. Die hartnäckige Befürchtung, ich könnte mein Baby fallen lassen, verfolgt mich sogar in meinen Träumen. Die Angst davor, zu versagen, macht mich fertig. Ich erschrecke vor dem Gedanken, der sich manchmal bei mir einschleicht: Mutterschaft macht mich nicht glücklich.“
– Lena Lorenz
Natürlich habe ich mich über mein Baby gefreut, aber es dauerte etwa ein halbes Jahr, bis ich mich entspannen konnte. Ständig war ich in Angst und Sorge um mein Kind, ständig erschöpft und irritiert. Da dachte ich: Mensch, das kann doch kein Glück sein!
Zum Glück spricht man heute immer mehr darüber, wie groß die Herausforderungen der Elternschaft sind. Man versteht oder toleriert widersprüchliche Gefühle. Der offene und ehrliche Umgang mit den Herausforderungen wirkt entlastend auf Eltern.
7. „Verächtlich ist eine Frau, die Langeweile haben kann, wenn sie Kinder hat.“
– Jean Paul
Dieser berühmte deutsche Dichter und Pädagoge hat im 18. und 19. Jahrhundert gelebt. Damals hatte man damit begonnen, die Mutterschaft zu idealisieren. Damit wuchsen im Bürgertum auch die Ansprüche an Mütter. Höhere Schichten hatten schließlich Kindermädchen, die sich um den Nachwuchs kümmerten.
Jean Paul prangerte mit seiner Aussage Mütter an, die ihre Kinder nicht selbst erzogen. Aus dem Kontext gerissen, trägt auch dieses Zitat zum Mythos der stets glücklichen und zufriedenen Mutter bei.
Die Züricher Psychologin und Psychotherapeutin Gaby Gschwend hat in ihrem Buch „Mütter ohne Liebe. Vom Mythos der Mutter und seinen Tabus“ dargestellt, wie sich die Einstellung zur Mutterschaft durch die Geschichte verändert hat.
In ihrem Werk hat sie Mütter aus ihrer psychotherapeutischen Praxis zu Wort kommen lassen. Dabei wird deutlich, dass negative Gefühle, Frust und Langeweile ein völlig normaler Teil des Lebens als Eltern sind.
„Wie oft habe ich mich selbst dabei erwischt, dass ich mich langweile! Ich wusste: Rituale geben meinem Kind Sicherheit und Orientierung. Aber die Spiele, Lieder und Reime, die sich tagein, tagaus wiederholten, ließen mich gähnen. Langeweile holte mich jeden Tag ein.“
– Lena Lorenz
Heute traue ich mich, es offen zuzugeben! Gerne ermutige ich Mütter und Väter, Langeweile als normalen Begleiter im Alltag mit Baby und Kleinkind zu verstehen und sich nicht darüber zu schämen.
Abschließende Gedanken
Besonders wir Mütter sehen uns mit Idealisierungen der Mutterrolle konfrontiert, die uns das Leben schwer machen können.
Dank neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse weiß man nun, dass Mütter nicht von einem Schlag auf den anderen mit dem Baby geboren werden. Stattdessen durchlaufen sie einen Prozess, der sich laut einer in Nature Neuroscience veröffentlichten Studie sogar am Gehirn erkennen lässt.
Heute untersucht man die Veränderungen, die Mamas auf mehreren Ebenen erleben, mit ähnlicher Eifrigkeit wie einst die Pubertät. Romantische Darstellungen der Mutterrolle, die seit Jahrhunderten unsere Sichtweise prägen, entpuppen sich bei einer wissenschaftlichen Betrachtung als falsch. Das Mamasein ist nicht immer einfach!
Mütter legen mittlerweile die Scham ab, die als Folge übersteigerter Erwartungen entsteht. Sie erheben ihre Stimmen und erzählen ehrlich über ihre Erfahrungen. So können überholte Vorstellungen hinterfragt und ins richtige Licht gerückt werden.
Ich hoffe, ich habe mit diesem Text einen kleinen Beitrag dazu geleistet.
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